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Der Landkreis hat Geburtstag – ein Streifzug durch 200 Jahre Geschichte (Teil 3)

Berkatal, den 12. 07. 2021

Pressemitteilung

Eschwege, den 12. Juli 2021

 

 

Der Landkreis hat Geburtstag – ein Streifzug durch 200 Jahre Geschichte (Teil 3)

 

Zehnteilige Geschichtsserie anlässlich 200 Jahre Kurhessische Landkreise

 

Am 29. Juni 1821 wurden mit einem kurfürstlichen Organisationsedikt zur Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung in Kurhessen die Landkreise erstmals als Verwaltungseben eingeführt. Diesen 200. Geburtstag der ehemaligen Landkreise Eschwege und Witzenhausen nehmen wir zum Anlass, um in einer zehnteiligen Serie ein Blick auf die Geschichte der Vorläufer des heutigen Werra-Meißner-Kreises zu werfen.

 

Autor der Serie ist Matthias Roeper, Leiter des Stadtarchivs in Witzenhausen und Verfasser zahlreicher stadt- u. heimatgeschichtlicher Publikationen.

 

Der heutige dritte Teil der Serie zeigt die Geschichte der Kreise Eschwege und Witzenhausen bis 1866.

 

 

Teil 3

 

Die Kreise Eschwege und Witzenhausen bis 1866

 

Nur ein knappes Jahrzehnt hatte das Organisationsedikt in seiner 1821 erlassenen Form bestand. Im Nachklang der revolutionären Ereignisse des Herbstes 1830 bekam Kurhessen eine neue Verfassung – übrigens noch 1859 von Karl Marx als „…das liberalste Grundgesetz“ bezeichnet, „…das je in Europa verkündet wurde“ – und mit ihr auch eine neue Gemeindeordnung, welche die bislang eher zentralistische Staatsverwaltung in Richtung von deutlich mehr Selbstverwaltung der Gemeinden veränderte.

 

Bis Ende 1834 gab es allerdings sowohl im Kreis Eschwege als auch im Kreis Witzenhausen die Problematik der „Rotenburger Quart“ und des damit – trotz der modernen Verwaltungsstruktur – verbundenen komplizierten Verwaltungsgefüges. Nach dem Aussterben der Rotenburger Seitenlinie war damit allerdings umgehend Schluss und die bis dahin existierenden rotenburgischen Ämter wurden in kurfürstliche Justizämter umbenannt, wobei die bislang von ihnen ausgeübten Funktionen der inneren Landesverwaltung auf die Kreisämter übergingen.

 

Zudem löste man 1836 die früher rotenburgischen Justizämter Germerode und Witzenhausen II auf, wobei letzteres mit dem Justizamt Witzenhausen I verschmolzen wurde. Gleichzeitig wurden die Dörfer Dudenrode, Kammerbach und Orferode vom Kreis Eschwege an das Justizamt Allendorf und damit dem Kreis Witzenhbausen zugeschlagen. In diese Zeit fällt auch die Umbenennung des Spitzenamtes der Kreisverwaltung: Aus „Kreisrat“ wurde der noch heute gebräuchliche Begriff „Landrat.“        

 

Das Revolutionsjahr 1848 und die Folgen

 

Das Beben, das deutschlandweit die überkommenen Herrschaftsstrukturen im März 1848 erschütterte, erreichte auch Kurhessen und zwang den Kurfürsten zu weitgehenden Reformen. Diese waren sowohl politischer als auch struktureller Natur und reichten bis in die lokalen Verästelungen der Kreis- und Kommunalebene. Als erstes wurden am 26. August 1848 per Gesetz alle Lehns-, Leihe-, Meier- und sonstigen gutsherrlichen Verbände zum 1. Oktober des Jahres abgeschafft, zwei Jahre später folgte dann das Gesetz über die Ablösbarkeit der bestehenden Grundlasten.

 

Völlig umgekrempelt wurde auch die staatliche Verwaltung der mittleren Ebene – hier wurden durch das „Gesetz über die Bildung neuer Verwaltungsbezirke“ vom 31.10.1848 sowie dessen Durchführungsverfügung vom 22.12.1948 gänzlich neue Strukturen geschaffen. Dies bedeutete nach gut einem Vierteljahrhundert das vorübergehende Ende der Landkreise, die durch weitaus großräumigere sog. „Verwaltungsbezirke“ abgelöst wurden. In unserer Region entstand mit gut 75 000 Einwohnern der Bezirk Eschwege, bestehend aus dem Gebiet der beiden Landkreise Eschwege und Witzenhausen mit den Justizämtern Eschwege I und II, Abterode, Bischhausen, Netra, Wanfried, Witzenhausen, Allendorf, Großalmerode und Lichtenau. Zum Stichtag 1.2.1849 wurden auch die bisherigen Provinzialregierungen samt den Kreisämtern aufgelöst und ihre Aufgaben den Bezirken übertragen.           

 

Foto PM

Bildunterschrift: „Der Beobachter an der Werra“ berichtet über die Revolution von 1848.

 

Verwaltungsämter anstelle der Kreise

 

An die Stelle der Kreise traten nun sog. „Verwaltungsämter“, die lt. Anweisung des Innenministeriums vom 29.Januar 1849 unter „… thunlichstem Anschlusse an die seitherige Kreiseintheilung“ gebildet werden sollten.  Die neuen Verwaltungsämter Eschwege und Witzenhausen orientierten sich räumlich an den bisherigen Kreisgrenzen, mussten aber einen Großteil der früheren Kreisamtsbefugnisse an den übergeordneten Verwaltungsbezirk abtreten und waren nur noch „ vollziehende Unterbehörden des Bezirksvorstands“.

 

Der übergeordnete Verwaltungsbezirk stand unter der Leitung des Bezirksvorstandes und des ihm zugeordneten gewählten Bezirksrates, aus dem ein „Bezirksausschuss“ gewählt wurde. Für den Bezirk Eschwege setzte er sich nach der Wahl vom 9.Februar 1849 wie folgt zusammens: Amtmann Wilke aus Netra, Gutsbesitzer Euler aus Bischhausen und Fabrikant Gottlieb aus Waldkappel für den ehemaligen Kreis Eschwege sowie Gutsbesitzer Pfeiffer aus Ermschwerd, Fabrikant Mangold aus Witzenhausen und Advokat Block aus Allendorf für den Witzenhäuser Bereich.

 

Alle diese Neuerungen hatten jedoch nur kurz Bestand, denn nachdem sich die Machtverhältnisse wieder in Richtung fürstlicher Gewalt verschoben hatten, konnte Kurfürst Friedrich Wilhelm I. bereits im Juli 1851 alle Änderungen rückgängig machen und sowohl die Provinzialregierungen als auch die Kreise wieder einführen. Letztere standen nun unter einem Landrat, der auch die Aufgaben der 1822 bei den Kreisen gebildeten und 1848 aufgehobenen Polizeikommissionen übernahm. Die Bezirksräte bestanden auf Kreisebene - allerdings mit bescheidenen Kompetenzen - fort.                

 

Momentaufnahme 1842

 

Von der Mitte des 18. bis fast zum Ende des 19. Jahrhunderts war die hohe Zeit der Landesbeschreibungen und statistischen Erhebungen. Für den heutigen Betrachter sind diese Veröffentlichungen zwar inhaltlich manchmal nicht ganz einfach nachzuvollziehen, aber dennoch von immensem Wert, liefern sie doch, wie wir bereits bei Regnerus Engelhard gesehen haben, ein durch keine nachträgliche Interpretation getrübtes und damit unverfälschtes Bild.

 

Der wohl bekannteste Verfasser dieser Art Beschreibungen war der Kasseler Historiker und Archivar Georg Landau (1807 – 1865), dem mit seiner im Jahr 1842 erschienenen „Beschreibung des Kurfürstenthums Hessen“ eine ebenso aussagekräftige wie detailgetreue Skizzierung unserer Region gelang. Wenn auch nicht alle von ihm vorgestellten Fakten einer wissenschaftlichen Überprüfung zu 100 % standhalten – so schreibt er z.B. über den Obstbau in Witzenhausen, dass man „…. die Zahl der tragbaren Bäume, unter denen die Kirsche bedeutend vorherrscht, auf eine halbe Million“ schätzt – so liefert er dennoch für die beiden Kreise Eschwege und Witzenhausen nebst deren Städten und Gemeinden mit Wirtschaft und Landwirtschaft auf knapp fünfzig Seiten eine umfassende Beschreibung.

 

„Dieser zu den schönsten und interessantesten Gegenden Hessens gehörige Landstrich“, beginnt er seine Beschreibung des Kreises Eschwege, „… führt uns aus den lieblichsten, gesegnesten Auen, in denen die Rebe grünt, bis zu den Höhen hinauf, auf denen wir uns von den Kinder der Alpenwelt umgeben sehen.“

 

Viel Raum widmet er der Landwirtschaft als damals wichtigstem Wirtschaftszweig, wobei das Werratal bis Albungen die fruchtbarsten Böden hat und die Bewohner am besten ernähren kann. „Am ärmsten“, sind hingegen „…die Bewohner des Amtes Netra, wo der größte teil des Bodens im Besitze des Adels sich befindet und die Güter des Landmanns der größten Zersplitterung unterworfen sind.“ Positiv schildert er auch Handel und Gewerbe, insbesondere „….die schiffbare Werra“ ist ein Grund dafür, dass „… Wanfried und Eschwege (…) reichen Handel treiben und mehrere blühende Fabriken besitzen.“   

 

Foto PM

Bildunterschrift: So stellte sich Ernst Metz Eschwege im 19. Jahrhundert vor

 

 

Was nicht bei Landau steht

 

Gezeigt werden beide Kreise ebenso wie das gesamte Kurfürstentum in einem denkbar günstigen Licht. Dass die tatsächliche Situation der kurhessischen Bevölkerung in der von Landau beschriebenen Zeit weitaus problematischer war als es seine allgemein gehaltene Beschreibung glauben macht, zeigt ein kurzer Blick in andere zeitgenössische Quellen. Ein wesentlicher Teil seiner Beschreibung des Kreises Witzenhausen beschäftigt sich mit dem Werratal, über dem laut Landau „…ein reicher Segen ruht. Es ist nicht nur mit schönen malerischen Bergen geschmückt, auch ein freundliches mildes Klima ist ihm geworden und seiner Thalsohle eine Fruchtbarkeit, wie sie nur selten in Niederhessen sich wieder findet. Außer den gewöhnlichen Erzeugnissen des Ackerbaues, findet man eine Überfülle von Obst, vorzüglich Kirschen; auch gedeihet hier der Weinstock und der Maulbeerbaum, Taback (82 Acker), Hirse, Bohnen etc. und Weintrauben, frisches und gedörrtes Obst sowie Bohnen liefern ansehnliche Handelsartikel. Vorzüglich ausgezeichnet sind die Fluren von Allendorf, Ellershausen, Witzenhausen, Bischhausen und Hundelshausen.“

 

Ganz andere Eindrücke hingegen vermittelt z.B. ein Eintrag in der „Neuen Chronik der Stadt Witzenhausen“ aus dem Jahr 1842. „Der Sommer und zum Theil auch der Herbst des Jahres 1842“, heißt es hier, „… waren sehr warm und trocken, wodurch großer Wassermangel entstand und Feldfrüchte und Futterkräuter so sehr litten, dass kaum eine halbe Ernte davon erzielt wurde. Die Folge davon war, dass der Viehstand fast überall bedeutend vermindert wurde, Früchte und Fourage über das Doppelte im Preise stiegen und alle Lebensbedürfniß ungewöhnlich theuer wurden.“

 

Wenige Jahre später verschärften mehrere Kartoffelmissernten – die Kartoffel war im 19. Jahrhundert das Volksnahrungsmittel Nr.1 – die Lage dramatisch und insbesondere 1846 herrschte, wie der zeitgenössische Tagebucheintrag des Witzenhäusers Reinhard Lenderoth offenbart, nicht nur „…große Noth an Cartoffeln“, sondern auch eine dramatische Gesamtsituation.

 

„In dieser traurigen Lage“, so Lenderoth in seinem Tagebuch, „… sind auch noch die Masern unter den Kindern ausgebrochen und zwar sehr bösartig und es vergeht kein Tag, wo nicht zwei Leichen bestattet werden und schon bis auf vier Personen pro Tag gestiegen ist (…) Wiewohl hier eine Armen- und Speiseanstalt besteht und in Gesellschaften für Bedürftige noch gesammelt wird, so wird doch die Haustür von Armen nicht leer, die um Brot pp. anhalten. Die Auswärtigen, namentlich Kinder, dürfen hier nicht betteln gehen, aber die Not treibt dieselben doch hierher, um von der Polizei wieder zum Thore hinaus gebracht zu werden. Es ist sehr traurig, wenn man von rüstigen Männern von Dörfern mit Tränen in den Augen um Brot angesprochen wird, ums Essen würden dieselben gern arbeiten, aber ein jeder scheut sich vor der Verköstigung.“ 

 

Foto PM

Bildunterschrift: Die zeitgenössischen Zeichnungen zeigen Witzenhausen 1850.

 

 

Bild zur Meldung: Der Landkreis hat Geburtstag – ein Streifzug durch 200 Jahre Geschichte (Teil 3)