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Der Landkreis hat Geburtstag – ein Streifzug durch 200 Jahre Geschichte (Teil 2)

Berkatal, den 05. 07. 2021

Pressemitteilung

Eschwege, den 5. Juli 2021

 

 

Der Landkreis hat Geburtstag – ein Streifzug durch 200 Jahre Geschichte (Teil 2)

 

Zehnteilige Geschichtsserie anlässlich 200 Jahre Kurhessische Landkreise

 

Am 29. Juni 1821 wurden mit einem kurfürstlichen Organisationsedikt zur Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung in Kurhessen die Landkreise erstmals als Verwaltungseben eingeführt. Diesen 200. Geburtstag der ehemaligen Landkreise Eschwege und Witzenhausen nehmen wir zum Anlass, um in einer zehnteiligen Serie ein Blick auf die Geschichte der Vorläufer des heutigen Werra-Meißner-Kreises zu werfen.

 

Autor der Serie ist Matthias Roeper, Leiter des Stadtarchivs in Witzenhausen und Verfasser zahlreicher stadt- u. heimatgeschichtlicher Publikationen.

 

Der heutige zweite Teil der Serie zeigt die Geschichte „Vom Königreich Westfalen zum Organisationsedikt von 1821“.

 

 

Teil 2

 

Vom Königreich Westfalen zum Organisationsedikt von 1821

 

Die in Regnerus Engelhards „Erdbeschreibung der hessischen Lande“ geschilderten Verhältnisse hatten Bestand bis zum Beginn der französischen Besetzung von 1806. Die sog. „Franzosenzeit“ (1806 bis 1813) sah das vorübergehende Ende der seit 1803 als Kurfürstentum bezeichneten Landgrafschaft Hessen und die Bildung des kurzlebigen Königreichs Westfalen.

 

Dieses von Napoleons Bruder Jerome Bonaparte von Kassel aus regierte Gebilde hat in der kollektiven Erinnerung einen denkbar schlechten Ruf. Hauptsächlich basiert dieser allerdings auf der nationalistischen Geschichtsschreibung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die, unter der Prämisse der sog. deutsch – französischen „Erbfeindschaft“, das Königreich Westfalen als bedrückende Fremdherrschaft charakterisierte.

 

Jerome, als leichtlebiger und unfähiger „König Lustig“ verspottet, finanzierte angeblich sein Lotterleben durch dauerhaft drückende Abgabenlasten der hessischen Bevölkerung - von der in der Geschichtsschreibung allenthalben beklagten fehlenden Rücksichtnahme auf die überkommenen staatlichen Strukturen bzw. gewachsenen historischen Grenzen einmal ganz abgesehen.

 

Foto PM

Bildunterschrift: Napoleons Bruder Jerome Bonaparte regierte von Kassel aus das Königreich Westfalen.

 

 

Liberale Verfassung und neue Landestruktur

 

Dabei war die Verfassung des neuen Königreiches so fortschrittlich und freiheitlich, wie es sich die Menschen im bislang fast noch feudal regierten Nordhessen nur wünschen konnten: Alle Bürger waren von nun an vor dem Gesetz gleich, sämtliche Adels – Privilegien nebst Leibeigenschaft und Hörigkeit wurden aufgehoben, im Zivilrecht galt der Code Napoleon und die Emanzipation der „Bürger mosaischer Religion“ wurde nirgends so konsequent betrieben wie im Herrschaftsbereich Jerome Bonapartes.

 

Ähnlich modern gestaltete sich auch die Verwaltungsebene. Man hob nicht nur die sog. „Patrimonialgerichtsbarkeit“ des Landadels auf - d.h. die private Ausübung der Rechtsprechung von Seiten des Grundherren über seine Hörigen - sondern trennte auch Justiz und Verwaltung, die bislang von ein und derselben Person, dem Amtmann, versehen worden waren.

 

Neben der Verwirklichung dieser aus der französischen Revolution stammenden freiheitlichen Prinzipien – die so ganz im Gegensatz zur bisherigen Herrschaftspraxis in Kurhessen standen – ging man auch auf der Verwaltungsebene daran, das Land von Grund auf neu zu strukturieren. Eingeteilt wurde das Königreich nun in sog. „Departements“, die in der Regel nach den wichtigen, sie berührenden Flüssen benannt waren und deren Grenzen relativ willkürlich gezogen wurden. Unsere Region lag nunmehr im sog. „Departement der Werra“, mit Marburg (!) als Hauptstadt und unterteilt in „Distrikte“, die sich wiederum in „Kantone“ gliederten.

 

Das spätere Gebiet der beiden Landkreise Eschwege und Witzenhausen war im Großen und Ganzen Teil des Distrikts Eschwege – mit Ausnahme der Orte rechts der Werra, die zum Distrikt Heiligenstadt gehörten und der Raum um Großalmerode, der zum „Fuldadepartement“ geschlagen wurde. An der Spitze des Distrikts stand der „Unterpräfekt“ mit Sitz in Eschwege in dessen Zuständigkeitsbereich die Kantone Aue, Reichensachsen, Netra, Bischhausen, Nentershausen, Spangenberg, Lichtenau, Witzenhausen und Sooden fielen.

 

Foto PM

Bildunterschrift: Die Karte zeigt, dass der heutige Werra-Meißner-Kreis zum „Departement der Werra“ gehörte.

 

 

Das „ancien regime“ kehrt zurück

 

Nach der Vertreibung der Franzosen kehrte Landgraf Wilhelm IX. (1785 – 1821), seit 1803 als Kurfürst Wilhelm I. regierend, nach Kassel zurück. Er hatte die westfälische Regierung nie anerkannt und erklärte unmittelbar nach seiner Heimkehr sowohl deren Gesetze als auch Personalentscheidungen für null und nichtig. Durch diese rigorose Wiederherstellung der vor 1806 herrschenden „althessischen Zustände“ verschwanden fast alle von der Bevölkerung begrüßten liberalen Neuerungen und vor allem für die Bauern kehrte die alte Abhängigkeit zurück - mit Ausnahme der adeligen Patrimonialgerichte, die abgeschafft blieben. Selbst das doch recht skurrile Konstrukt der „Quart“ wurde wiederhergestellt und existierte noch bis zum Aussterben der Rotenburger Seitenlinie im Jahr 1834.

 

Der Kurfürst, auch „Siebenschläfer“ genannt, weil er die politischen wie gesellschaftlichen Entwicklungen der sieben Jahre westfälischer Herrschaft offenbar verschlafen hatte bzw. bewusst negierte, konnte bis zum Ende seiner Regierung nie über seinen Schatten springen und erwies sich als dauerhafter Bremsklotz – so verschleppte er z.B. seit 1815 auch sein in der Wiener Schlussakte gegebenes Verfassungsversprechen.

 

 

Die „alten Zöpfe“ fallen

 

Am 27.Februar 1821 starb Kurfürst Wilhelm I. und wurde am 14. März in der Löwenburg im Wilhelmshöher Schlosspark beigesetzt. Sein Sohn, der nun als Kurfürst Wilhelm II. bis 1848 die Staatsgeschäfte lenken sollte, verfügte bereits am Tag nach der Trauerfeier die Abschaffung des bislang für die kurhessischen Armeemitglieder obligaten Haarzopfes und setzte mit dem Abschneiden des allenthalben als Symbol der Reaktion angesehen Zopfes ein erstes Zeichen in Richtung Zukunft.

 

Aber nicht nur beim Militär fielen die „alten Zöpfe“, sondern auch die staatliche Verwaltung wurde von Grund auf modernisiert. Durch die am 19. Juni 1821 erlassene „Verordnung zur Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung betreffend“, gemeinhin als „Organisationsedikt“ bezeichnet, erhielt Kurhessen eine der fortschrittlichsten Verwaltungsorganisationen der damaligen Zeit, in die sowohl Elemente der Stein – Hardenbergschen Reformen in Preußen als auch Gedanken aus französisch – westfälischer Zeit Eingang fanden. 

 

„In der Überzeugung“, so Wilhelm II. in der Präambel besagter Verordnung, „…dass bei der von Uns beabsichtigten Beförderung der wahren Wohlfahrt unseres Landes alle Unsere verschiedenen Staatsbehörden, nach dem vollen Maase ihrer Kräfte Uns zu unterstützen, erst alsdann vermögen werden, wenn der Wirkungskreis einer jeden Stelle völlig deren Bestimmung entsprechend gebildet, der Geschäftsgang einfach und für jeden Verwaltungszweig gleichförmig, auch die Leitung aus einem, der Übersicht des Ganzen gewährenden, Centralpunkte möglich gemacht seyn wird, haben wir eine neue Organisation der Staatsverwaltung beschlossen, und verordnen zu dem Ende wie folgt.“

 

Veröffentlicht und damit auch jedem zur Kenntnis gebracht wurde das 137 Paragraphen  umfassende Edikt im dritten Band der „Sammlung von Gesetzen, Verordnungen, Ausschreiben und anderen allgemeinen Verfügungen für Kurhessen für die Jahre 1820,1821 und 1822“. Alsbald folgte die unmittelbare Umsetzung und schon am 30. August war mit der „Verordnung die neue Gebiets – Eintheilung betreffend“ der Reformprozess zumindest formal abgeschlossen.

Der kurhessische Staat mit seinen insgesamt 578.501 Einwohner wurde fortan in vier Provinzen mit zweiundzwanzig Landkreisen aufgeteilt: Niederhessen mit Schaumburg bestand aus 10 Kreisen mit 281.597 Einwohnern und Oberhessen umfasste vier Kreise und 100.168 Einwohner. Hinzu kamen noch die Provinzen Fulda mit vier Landkreisen und 112.748 Einwohnern sowie Hanau mit ebenfalls vier Kreisen und 83.988 Einwohnern.

 

Foto PM

Bildunterschrift: Kurfürst Wilhelm II. schnitt alte Zöpfe ab und führte mit dem Organisationsedikt von 1821 die Landkreise als Verwaltungsebene ein.

 

 

Die neuen Kreise und ihre Aufgaben

 

Gebildet wurde der Kreis Eschwege, der mit seinen 34.551 Einwohnern nach dem Kreis Kassel der bevölkerungsreichste unter allen Kreisen der neuen Provinz Niederhessen war, aus dem bisherigen Kurfürstlichen Amt Eschwege, dem Fürstlich-Rotenburgischen Amt Eschwege, den Ämtern Bischhausen, Bilstein, Germerode, Wanfried und Netra sowie der Bergfreiheit Abterode, die das Amt Allendorf an den Kreis Eschwege abtreten musste.

 

Deutlich weniger Einwohner (25.057) hatte der Nachbarkreis Witzenhausen, der aus den Ämtern Witzenhausen und Lichtenau, dem Amt Allendorf, der Stadt Witzenhausen mit dem Amt Ludwigstein sowie dem um die Orte Helsa, Eschenstruth und Oberkaufungen reduzierten Amt Großalmerode gebildet wurde.

 

Ein ganz zentraler Punkt der neuen Strukturen war die endgültige Trennung von Justiz und Verwaltung kombiniert mit weitest gehender Vereinfachung und deutlich verbesserter Effizienz. Neben den neuen Justizämtern und Finanzbehörden gab es nun die sog. „Kreisämter“, die für alles zuständig waren, was als ursächliche Verwaltungsaufgabe anzusehen war. Geleitet wurde solch ein Kreisamt von einem „Kreisrat“, dem ein Sekretär als Stellvertreter, zwei Schreiber und ein sog. „Landbereiter“ zugeordnet waren.

 

Die neue Kreisadministration, die ab Ende September 1821 ihre Arbeit aufnahm, hatte eine beachtliche Fülle von Aufgaben zu bewältigen: Die Erstellung und Fortführung statistischer Beschreibungen, Wahrung der Hoheits- und Landesgrenzen, umfassende Polizeiaufsicht, Schul- und Erziehungswesen, Förderung von Landwirtschaft, Gewerbe und Handel, Lenkung und Beaufsichtigung der Gemeindeverwaltungen, Militär - Angelegenheiten, Überwachung der „…besonderen Verhältnisse der Israeliten“ sowie „…alle übrigen vorkommenden Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltung.“               

 

Erste Kreisräte waren in Eschwege Friedrich Meisterlin (1780 – 1847), der vor seiner Eschweger Zeit als Amtmann in Veckerhagen fungierte und in Witzenhausen Wilhelm Karl Philipp Bockwitz (1784 – 1857), der das Werraland 1832 in Richtung Kassel verließ und zuvor Amtmann in Volkmarsen war.

 

 

 

Bild zur Meldung: Der Landkreis hat Geburtstag – ein Streifzug durch 200 Jahre Geschichte (Teil 2)